Stille Post (Bilder & Texte, 2020)

Intro
„Künstler sollten ihre Arbeit nicht selbst erklären.“ „Ich gehe ja meist erst zur Eröffnung, wenn die Rede gelaufen ist.“ „Woher nehmen sie ihre Inspiration?“ „Ich hab eigentlich keine Ahnung von Kunst.“ „Was haben sie sich dabei gedacht?“ „Möchten sie noch einen Sekt?“ „Heute ist es ja wieder so warm.“ „Dieses Bild ist sehr hübsch, aber dies dort ist mir zu düster.“ „Sind sie museal gelistet?“ „Können sie von der Kunst leben … so richtig leben … meine ich?“ „Schade, das Bild mit dem roten Punkt hätte ich auch gekauft.“  „Mein Neffe malt ja auch, mit Aquarell.“ „Ihre Farben sind ja eher gedeckt.“ „Wie lange malen sie an einem Bild?“ „Sehr geehrte Damen & Herren,“ „Pssst, es geht los!“

Brief 1
Kunst ist (vielleicht) die Summe all der Gedanken, die man sich gemacht und (noch) nicht gemacht hat. Dem Nichtgedachten auf die Spur zu kommen ist aber nur ein Gedanke von vielen, der zur Summe aller führt. Auch das tausendfach Gedachte kann mit jedem Mal ein Schritt in die Summe allen Seins sein. Und selbst Rückschritte, Ausfallschritte und Fehltritte summieren sich zu Erinnerungen, die, als Teil der Summe, klüger, vorsichtiger, neugieriger machen. Wer denkt die Summe der Kunst zu kennen oder denkt die Summe der Kunst wäre gleichzusetzen mit der Summe für die Kunst, der irrt, so denke ich, aber das ist auch nur so ein Gedanke. Denken lohnt in Zeiten der erdachten Denkverbote hier und des Verbotsdenkens dort. Kunst ist Kunst, vielleicht, so wie ein Geistesblitz von heute schon morgen nicht mal den Urheber begeistert. Vielleicht ist Vielleicht vielleicht. Vielleicht weil oder obwohl (?) viel vom Vielen vieles auch nicht leichter macht. Postfaktisch gesehen ist Kunst die banale Antwort auf eine Hyperrealität, die nur noch schweigt um dem Seufzer der eigenen Unglaublichkeit Ausdruck zu verleihen. Satiriker reiben sich die verwunderten Augenränder ob der faktischen Satire, in die ihre Augenpaare starren und verweigern jedwede Übertreibung der Unterbietung des schlichten Denkens. Leiser müsste die Kunst sein und lauter, konzentrierter, weniger bedächtig, sondern mit Bedacht gedacht, gut gemacht, allemal, hier und da, ein ums andere Mal gesehen und vergessen. Zu viel vom Gesehenen ist wohl nicht weitergedacht, zu früh verlacht, vergessen und nie wieder aufgegriffen worden. Wenn alles schon mal da war, wer hat je alles gesehen? Mein Nichtgedachtes ist vielleicht dein Undenkbares, ihr Gedankenkreisel oder sein letzter Gedanke. Leise wird die Gedankenwelt, wenn sie erlischt, also denke ich, dass wir denken sollten, solange die Gedanken frei sind, denn wer will die Antithese in Gedanken verbieten. Also denk ich mir meinen Teil und schweige. Stillschweigend überlagern sich Kunst und Künstlichkeit zur Süßlichkeit des Abendlandes, das es gar nicht nötig hat abgeschafft zu werden, das schafft es schon allein. Allein, wen interessiert’s, wenn alle durcheinander denken und Gedanken Unerschütterlichkeit atmen und zuweilen kotzen. Muße täte Not, multipliziert mit Mut, welche Kunst, Gedanken als Tauschmittel einer kindlich erwachsenen Achtsamkeitsgesellschaft, die verrückt genug wäre sich selbst ab und an einen fingerbreit zu verrücken um sich nicht zu sicher zu sein, damit das Unvorhersehbare zumindest nicht ungedacht bliebe.

Dann …
Wenn der Kopf auf die Decke fällt,
und die Tat dem Vorsatz ein Beinchen stellt,
wenn sich das Nichts in allem auflöst
und ein Versprecher sein Versprechen einlöst,
wenn die Schweinehunde vor die Hunde gehen
und die Besserwisser die Welt nicht mehr verstehen,
wenn die Glaubenden den Ungläubigen glauben
und die Verbote alles erlauben,
wenn sich die Taschendiebe in die Taschen lügen
und sich die Eingebildeten nicht mehr selbst genügen,
wenn die Gewissheit überlegt,
und die Beute die Fallen legt,
wenn die Vernunft sündigt,
und die Gewohnheit kündigt,
wenn das Maß über die Stränge schlägt,
und der Versuch mal nicht abwägt,
wenn kein Stein mehr auf den andern passt
und jeder keine Chance verpasst,
wenn alles knarzt und knackt und sinkt
und alles rebelliert und stinkt,
wenn das Heute schon an morgen denkt
und sich das Morgen an gestern verschenkt,
wenn das Wenn jede Bedingung knüpft,
und dann das Dann im Kreise hüpft,

ich sag dir was,
dann endlich passiert mal was!

Der sanfte Mut
Leicht meint sanft, meint
Mut zur Stille, meint den Schritt zurück um vorwärts zu gehen,
meint zuzuhören, meint innehalten um festzuhalten,
meint Mut zur Pause, meint verzichten um zu geben, meint weich, meint echt,
meint das Gegenteil von Held, Hyäne und Mr. Trump.
Zerbrechlich mag sein was will, der sanfte Mut ist es nicht.

Halt
Im Fallen fallen auch die Fallen, die
sich an Stellen stellen, die mir ein Bein stellen, um
mir bewusst zu machen, was unbewusst bewusst wird, dass
ich halt Halt brauche, halt wie jeder, nicht
allein allein sein kann, allein
das Einsehen zu sehen, kann man nicht sehen, wenn
fällt was gefällt und fehlt was erst fehlt, wenn
es verschwindet, dann schwindet der Schwindel,
der genügt, wenn man sich begnügt mit dem Vergnügen, dass
alles gut ist, gut geht, gut war, gut wird. Also
halt! Halt mich inne und fest bis ich mir bewusst bewusst bin.

Haltung
Haltung. Was definiert Haltung? Wo fängt Plattitüde an und wo verliert man sich in Ritualen? Sind alle Gedanken gedacht? Ist Sinnsuche also eher Meditation als Forschung? Ist es Menschenpflicht oder intellektuelle Leidenschaft, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen? Wer oder was ist der Grund auf den man gehen könnte und was wäre die Erkenntnis, wenn man alle Erkenntnisse gewonnen hätte? Ist es altmodisch, Fragen zu stellen, wenn man doch alle Antworten googeln kann? Und wenn es altmodisch ist, was ist dann gerade in Mode? Ist Kunst Mode oder ist Kunst Kunst? Welchen Wert hat Kunst, die ihrem Selbstzweck dient oder ist jede Kunst Mittel zum Zweck? Welcher Zweck heiligt welches Mittel? Ist Kunst obsolet, weil sie oder wenn sie nur eine kleine Gruppe erreicht? Ist Allgemeingültigkeit das Ziel; spricht es für oder gegen die Allgemeinheit, sich dieser Illusion zu entziehen, oder ist es ohnehin ein Allgemeinplatz, weil Teilhabe nur eine Theorie ist? Ist der Begriff der Eliten eine Erfindung der Eliten und wenn es sie doch gibt, was bemächtigt sie zu elitärem Denken? Sind Museen und Galerien, Theater und Filmwerkstätten, Ateliers und Schreibstuben Verschwendung von Lebensraum, definiert sich an solchen Orten der selbstbestimmte Mensch, oder ist es unnützer Schnickschnack einer gelangweilten Lackschuhclique und von ein paar selbstverliebten Zampanos? Gefallen wir uns darin dazuzugehören oder konsumieren wir Kultur zur Erkenntnisgewinnung? Ist es vielleicht einfach egal, weil sich Kultur einer eindeutigen Begriffsbestimmung verweigert? Was meinen wir, wenn wir von der Verteidigung der Kultur sprechen? Kann man überhaupt etwas verteidigen, das sich in einem dauernden Wandel befindet? Warum bewahrt man, anstatt zu zerstören, wo doch erst aus dem Chaos Neues entsteht? Ist Kunst in diesem Zusammenhang Rummelplatz oder Labor – und was sind dann die Künstler, Schausteller oder zur Schau-Gestellte, Laborratten oder Wissenschaftler? Spielt es überhaupt eine Rolle welche Rolle man spielt, wenn man eben keine Rolle spielt, sondern das Leben lebt? Sind diese Fragen schon Tausend Mal gestellt worden und wenn ja, sind sie trotzdem noch relevant? Ist es verantwortungsvoll oder naiv, kritisch zu sein? Ist das Leben zu kurz dafür, oder ist es dekadent, einfach nur zu sein? Reicht es informiert zu sein oder verlangt Information auch nach Handlung? Wenn Kunst Spiegel ihrer Zeit ist, sind dann jene Positionen zeitlos, welche die Eitelkeiten nicht bedienen? Reicht bloße Oberfläche, weil Inhalte der Blöße im Wege stehen, oder sind Inhalte die Fläche, auf der die Sinne spazieren gehen? Mach ich mir zu viele Gedanken und wenn ja, wie viele davon sind gerade genug? Geht es in Wahrheit darum: „Sehe ich gut aus; steht mir das Hemd; trinke ich Bier, trinke ich Wein; geh ich morgen zum Sport; warum guckt die so; muss ich diese Bilder verstehen oder kann ich auch ohne Erkenntnisgewinn nach Hause gehen?“ Ist Belanglosigkeit wichtig und wenn man sagt: „Bestimmt!“, wer sagt dann, was belanglos eigentlich ist? Fängt soziales Gewissen genau an diesem Punkt an – und was zum Teufel hat das mit Kunst zu tun? Kann Kunst überhaupt sozial gedacht werden oder ist es ihr Markenkern, asozial zu sein? Warum streitet und prügelt sich dann niemand in einer Ausstellung? Ist es ein Etikettenschwindel wenn man von Leidenschaft redet und Karriere meint, oder ist Kunst Performance und Authentizität das Etikett, und bedeutet dann Etablierung, Tod oder Geburt? Warum nimmt man es hin, dass man etwas nicht versteht? Ist das die Beschreibung von Freiheit, zu begreifen, dass man selbst begrenzt ist? Ist Kunst frei, sollte sie es sein oder ist es nur eine romantische Idee, komplett unabhängig zu denken? Wenn es keine wahre Unabhängigkeit gibt, weil es des Publikums bedarf, worauf sollte man sich dann berufen? Auf den Applaus und die Lobhudelei oder auf das Scheitern und die Selbstzweifel; bedingt das eine das andere oder sind beide Seiten doch vereint darin, der Langeweile die Stirn zu bieten. Worauf also berufen, wenn die Verortung abgeklopft wird? Vielleicht geht es doch und überhaupt nur darum, irgendeine Haltung zu irgendetwas zu haben!?

Nicht hin, aber weg
Durch Gras, hoch gewachsen, in etwa bis zum Knie,
schritt ich, ging, ja schlich ich so vor mich hin,
dachte kaum, nicht viel, ich dachte nichts.
Jetzt, wo ich so dran denke, denke ich, welch Glück es war.

Aus dem Fenster eines Zuges hinaus sah ich auf plattes Land,
sah so vor mich hin, verlor mich im Blick, war nicht hin, aber weg,
kam an, wo, wer weiß das heut‘, vergaß, was ich nicht dachte,
jetzt seh ich zum Fenster raus und denke:
wär gerne nochmal weg.

Selbstüberschätzung
Die Kunst, hoch zu Ross,
nahm sich selbst so ernst,
das das Bild seinen Maler erschoss.